« Staunen ist der erste Grund der Philosophie. » Aristoteles


C.G. Jung: Erinnerung an eine Inkarnation im 18. Jahrhundert?

Wie das Nachwirken einer Reinkarnation im 18. Jahrhundert erscheint dieses Erlebnis des damals 12jährigen C.G. Jung. Von einer befreundeten Familie wurde er in ihr Haus am Viewaldstätter See eingeladen.
“Der Hausherr erlaubte seinem Sohn und mir, das Boot zu
benützen, unter strenger Verwarnung, keine Unvorsichtigkeiten zu begehen (Da aber C.G. Jung bereits Erfahrung im Bootsfahren hatte, war das erste, was er tat, auf das Heck des Bootes zu treten und es freihändig mit einem Ruder in den See zu stoßen.)
Das war dem Hausherrn zuviel. Er pfiff uns zurück und verabreichte mir eine Strafpredigt, die sich gewaschen hatte. Ich war sehr kleinlaut und musste zugeben, dass ich gerade das getan,
was er verboten hatte, und dass mithin seine Strafpredigt ganz am Platze war.
Gleichzeitig packte mich aber eine Wut, dass dieser dicke, ungebildete Klotz es wagen konnte, mich zu beleidigen. Dieses mich war nicht bloß erwachsen, sondern bedeutend, eine Autorität, eine Person in Amt und Würden, ein alter Mann, Gegenstand von Respekt und Ehrfurcht. - Der Gegensatz zur Wirklichkeit war dermaßen grotesk, dass ich plötzlich in meiner Wut innehielt,
denn die Frage kam auf mich zu: «Ja, wer bist du denn? Du reagierst ja, wie wenn du der Teufel wer wärest! Und dabei weißt du doch, dass der andere ganz recht hatte! Du bist ja kaum zwölf Jahre alt, ein Schuljunge, und er ist doch ein Vater und dazu ein mächtiger und reicher Mann, der zwei Häuser und mehrere prachtvolle Pferde hat.»
Da fiel mir zu meiner größten Verwirrung ein, dass ich eigentlich und in Wirklichkeit zwei verschiedene Personen war. Die eine war der Schuljunge, der die Mathematik nicht begreifen konnte und nicht einmal seiner selbst sicher war, die andere war bedeutend, von großer Autorität, ein Mann, der nicht mit sich spaßen ließ, mächtiger und einflussreicher als dieser Fabrikant. Er war ein alter Mann, der im 18. Jahrhundert lebt und Schnallenschuhe trägt
und eine weiße Perücke und in einer Kalesche fährt mit hohen, konkaven Hinterrädern, zwischen denen der Kutschenkasten an Federn und Lederriemen aufgehängt ist.
Ich hatte nämlich ein merkwürdiges Erlebnis gehabt: als wir in Klein - Hüningen bei Basel wohnten, kam eines Tages eine uralte grüne Kutsche aus dem Schwarzwald an unserem Haus vorbei. Eine urweltliche Kalesche, wie aus dem 18. Jahrhundert. Als ich sie sah, hatte ich das aufregende Gefühl:
«Da haben wir es ja! Das ist ja aus meiner Zeit!» - Es war, wie wenn ich sie wiedererkannt hätte; denn sie war von derselben Art wie die, in der ich selber gefahren war! Und dann kam ein sentiment ecoeurant, wie wenn mir jemand etwas gestohlen hätte, oder wie wenn ich betrogen worden wäre, betrogen um meine geliebte Vorzeit. Die Kutsche war ein Rest aus jener Zeit! Ich kann nicht beschreiben, was damals in mir vorging, oder was es war, das mich so stark berührte: eine Sehnsucht, ein Heimwehgefühl, oder ein Wiedererkennen:
«Ja, so war es doch! Das war's doch!»
Es gab noch ein anderes Erlebnis, das ins 18. Jahrhundert wies : ich hatte bei einer meiner Tanten eine Statuette aus dem 18. Jahrhundert gesehen, eine bemalte Terracotta, die aus zwei Figuren bestand. Sie stellte den alten Dr. Stückelberger dar, eine stadtbekannte Persönlichkeit aus dem Basler Leben Ende des 18. Jahrhunderts. Die andere Figur war eine seiner
Patientinnen. Sie streckt die Zunge heraus und hat die Augen geschlossen.
Dazu gab es eine Legende. Es wurde erzählt, dass der alte Stückelberger einmal über die Rheinbrücke ging, und da kam diese Patientin, die ihn so oft geärgert hatte, und jammerte ihm wieder etwas vor. Der alte Herr sagte: «Ja, ja, da muss etwas los sein mit Ihnen. Strecken Sie mal die Zunge raus und machen Sie die Augen zu!» Das tat sie auch, und in dem Augenblick lief er davon, und sie blieb stehen mit herausgestreckter Zunge - zum Gelächter der Leute.
Nun hatte die Figur des alten Doktors Schnallenschuhe an, die ich seltsamerweise als die meinen, oder ihnen ähnliche, erkannte.
Ich war überzeugt: «Das sind Schuhe, die ich getragen habe.» Diese Überzeugung hat mich damals ganz konfus gemacht. «Ja, das waren doch meine Schuhe!» Ich fühlte noch diese Schuhe an meinen Füßen, konnte mir aber nicht erklären, wie ich zu dieser wunderlichen Empfindung kam. Wieso gehörte ich ins 18. Jahrhundert? öfters passierte es mir damals, daß ich 1786
schrieb anstatt 1886, und das geschah immer mit einem unerklärlichen Heimwehgefühl.
Als ich damals, nach meiner Booteskapade am Vierwaldstättersee und der wohlverdienten Strafe, meinen Gedanken nachhing, rundeten sich diese bis dahin vereinzelten Eindrücke zu einem einheitlichen Bild: ich lebe in zwei Zeiten und bin zwei verschiedene Personen. Ich war von diesem Befund verwirrt und mit Nachdenklichkeiten bis zum Rande gefüllt. “
( Zitat aus “ Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung” aufgeschrieben und herausgegeben von Anniela Jaffeé )

Keine Kommentare: